Andacht zum Monatsspruch - November 2013

Siehe, das Reich Gottes ist mitten unter euch.

(Lukas 17,21)

Wie ist das eigentlich mit dem Reich Gottes? Ist es schon da? Und falls ja, wo? Oder steht es doch noch aus? Wann wäre es in diesem Fall zu erwarten? Um diese Fragen haben Gläubige immer wieder gestritten, ohne zu einem abschließenden Ergebnis zu kommen. Es gab auch immer wieder solche, die das Reich Gottes zu einem bestimmten Termin erwartet haben, zuletzt am 21. Dezember 2012. Sie wurden aber alle enttäuscht.

 

Jedes weltliche Reich, sei es vergangen oder gegenwärtig, lässt sich örtlich abgrenzen. Wenn wir z.B. von Neudorf nach Oberwiesenthal bis zum Fichtelberg fahren oder nach Reitzenhain, begegnen wir der Staatsgrenze. Das ist ja gerade Zeichen einer Herrschaft im politischen Sinne, von staatlicher Souveränität: die Gewalt über ein bestimmtes Territorium zu haben. Gottes Reich lässt sich nicht so deutlich abgrenzen, es ist grenzenlos. Und es ist auch auf keine andere Weise äußerlich zu erkennen; es entzieht sich letztlich unseren Maßstäben. Das wird deutlich, wenn man dem Monatsspruch andere Aussagen Jesu über das Reich Gottes gegenüberstellt.

 

Jesus selbst hat seine Jünger und uns im Vaterunser gelehrt, um das Kommen des Gottesreiches zu bitten. Demnach war es zu seiner Zeit noch nicht da. Andererseits lesen wir im Monatsspruchaus Lukas 17,21, dass Jesus gesagt hat: „Man wird auch nicht sagen: Siehe hier ist es! Oder: Da ist es! Denn siehe, das Reich Gottes ist mitten unter euch!“ Das, worum wir im Vaterunser bitten, wäre demnach doch schon da. Das Reich Gottes ist, obwohl erst im Kommen, doch schon mitten unter uns!? Wie ist das zu verstehen?

 

Denn das Reich Gottes wird ja auch in der „Gemeinschaft der Heiligen“ sichtbar. Jörg Zink schreibt: „Jesus sagt: 'Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, bin ich mitten unter ihnen.“ Und das Evangelium fügt hinzu, er selbst sei Haupt und Herz der Gemeinschaft, die ihm auf dieser Erde nachfolge, es gebe also eine konkrete Gestalt des Christus auf dieser Erde, er habe sozusagen einen 'Leib"...“

 

Diese Spannung ist beabsichtigt. Streng logisch lassen sich die zwei Aussagen zwar nicht übereinander bringen. Dennoch gelten beide: Das Reich Gottes steht noch aus! Und: Das Reich Gottes ist schon da! Vielleicht verstehen wir es am besten so: In Jesu Leben, Sterben und Auferstehen hat das Reich Gottes angefangen; es hat zu wachsen begonnen. Seither wächst das Reich Gottes weiter – bis heute. Doch es ist immer noch nicht voll verwirklicht.

 

Die Spannung zwischen "noch nicht" und "schon jetzt" kann uns helfen, unser Leben im Angesicht Gottes in der Gegenwart zu leben. Wer nämlich zu sehr das gegenwärtige Reich Gottes betont, kann gefährdet sein, dieses Reich aus eigener Kraft bauen zu wollen. Wer umgekehrt nur das kommende, das jenseitige Reich Gottes, nur die Zukunft im Blick hat, könnte dazu verleitet werden, sich aus dieser Welt zurückzuziehen. Damit würde er dem Auftrag Jesu, sein Reich zu bauen, untreu werden.

 

Dass das Reich Gottes schon angebrochen, schon im Wachstum ist, bindet uns an die Realität. Nach dem Vorbild Jesu sind wir in seiner Nachfolge gehalten, uns für das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit einzusetzen. Es liegt auch an uns, ob das Reich Gottes weiter wachsen kann. Umgekehrt bewahrt uns die Rede vom erst kommenden, noch ausstehenden Reich Gottes vor der Überheblichkeit, Gottes Reich selbst, ohne Gott, bauen zu wollen. Er hat uns wohl in die Welt gesandt mit dem Auftrag, an seinem Reich zu bauen. Doch das Gelingen liegt in seiner Hand.

 

Das Reich Gottes kommt. Es ist schon da. Wenn wir an Gottes Reich bauen, bedeutet dies nicht, dass wir einen Kostenvoranschlag erstellen, DIN-Normen erfüllen müssten oder einen Termin für die Fertigstellung im Nacken haben. Das hieße wieder, das Reich Gottes mit „äußeren Anzeichen“ erkennen zu wollen. Wir bauen an Gottes Reich, und doch ist das Gelingen, die Vollendung dieses Reiches nicht in unserer Hand. Einst wird die gegenwärtige Wirklichkeit aufgehoben und werden alle Vorstellungen, alle Träume und Sehnsüchte aufgehoben. Bis dahin aber wirkt das Reich Gottes bereits heute unter uns. Es bestimmt das Jetzt und bleibt zugleich Gegenstand unseres Bittens: „Dein Reich komme“ – es erreicht unser Jetzt und ist unsere Zukunft!

 

Wir leben also tatsächlich in einer Spannung. Wir leben zwischen "schon jetzt" und "noch nicht", zwischen den Zeiten, zwischen Erde und Himmel, zwischen Verheißung und Erfüllung. Und so groß die Versuchung auch sein mag, es wäre grundsätzlich falsch, die Spannung nach der einen oder anderen Seite aufzulösen. Wir können Gottes Herrschaft nicht selbst verwirklichen und doch will er uns dazu brauchen, diese Herrschaft in die Tat umzusetzen. In allem, was wir in seinem Namen und Auftrag tun, ereignet sich schon hier und jetzt Gottes Reich. Und doch ist das, was Jesus sich darunter vorstellt, viel mehr, als wir jemals hinkriegen werden. Es wird noch viel mehr kommen. Wir gehen auf die Vollendung des Reiches Gottes zu, auf die Neuschöpfung von Himmel und Erde. Die Aussicht auf dieses Ziel hilft uns, die Kraft zu finden, schon heute gemäß dem Auftrag Christi zu leben.

 

 

Und genau diese Aussicht bestimmt auch wieder das Ende des Kirchenjahres, das wir in diesem Monat mit dem Ewigkeitssonntag beschließen. Davon hat er seinen Namen.