Jahresthema Gottesdienst: Verkündigung heute

Unser Blick geht heute in das alte Korinth: Eine Boom-Town in der Mitte von Griechenland, wo das Leben blühte, wo die Wirtschaft florierte. Korinth hatte zwischen 100.000 und 120.000 Einwohner, war damals die größte Stadt Griechenlands. Es gab ein Schimpfwort: „corinthiatsistai“. „corinthiatsistai“, das hieß in Griechenland: „Wir wollen‘s mal so richtig krachen lassen“. Dafür war Korinth auch bekannt. Und just in jener dynamischen aber auch moralisch korrupten Stadt, entstand eine Gemeinde. Und es ist kein Zufall, dass die Korintherbriefe uns eine Gemeinde widerspiegeln, in der es wirklich drunter und drüber ging.

Paulus muss also seine gesamte Rhetorik, Führungsstärke und Theologie auspacken: Er watscht die Korinther manchmal ab, er ringt um sie, er wirbt um sie, er kämpft um sie, um sie wieder auf Kurs zu bringen, auf Kurs zu halten. Und das alles hängt eben auch mit dieser Stadt Korinth zusammen. Nicht umsonst war in dieser Stadt die Gemeinde auch etwas umtriebiger und reger und quirliger, aber auch etwas schwieriger als anderswo. Und dort in Griechenland, da hatte nicht etwa das Handwerk goldenen Boden, in Griechenland hatte das Mundwerk goldenen Boden. Das Wort für Handwerker auf Griechisch heißt „banausos“. Handwerker waren Banausen. Ein ordentlicher Grieche hatte ein großes Ziel: Rauszukommen aus dem Banausenstand. Handarbeit war Sklavenarbeit, Handarbeit war unfein. Das Idealziel eines jeden griechischen Mannes war es, von der Handarbeit frei zu werden, um eine rein geistige Existenz führen zu können. Und wirklich freie Menschen waren eigentlich nur die Philosophen, die Stars der Antike.

Warum die Philosophen? Weil die das Ideal der geistigen Existenz verwirklichten, die konnten sich ein Leben leisten, das aus reinem Nachdenken bestand.
Und wie verdiente z.B. ein Sokrates, ein Aristoteles oder ein Sokrates seinen Lebensunterhalt? Einfach dadurch, dass sie sich bezahlen ließen.
Man musste im Grunde für jeden Wissenserguss des großen Meisters den Geldbeutel aufmachen. Es gab sozusagen einen Markt des Wissens. Jeder wollte sich produzieren, jeder wollte ins Geschäft kommen. So war es gewissermaßen der Grundzug der griechischen Mentalität, dass jeder Grieche die Bühne suchte. Er brauchte ein Publikum, das Beifall klatschte, das dann auch was springen ließ. Und er musste werben darum, dass er die besten und tiefsten Weisheiten hat.

In diese Welt der Selbstdarsteller kommt Paulus mit seinem Evangelium. Diese Korinther möchte er mit dem Evangelium erreichen, möchte – um es ‘mal in diesem Bild zu sagen – ein Publikum finden, das die Botschaft desEvangeliums anhörte.

Sie können sich vorstellen, dass es da Missverständnisse gab, dass Paulus, als er nach Griechenland kam, zwangsläufig mit solchen Leuten wie den Philosophen verwechselt wurde. Man sagte: Mensch Paulus, du bist doch auch nur einer von diesen vielen Philosophen, die mit ihrer Rede und Weisheit Geld verdienen wollen. Du suchst doch nur Beifall, Anerkennung, Ruhm. Du suchst doch bloß Ehre mit deinem Auftritt. Deine Botschaft ist doch vielleicht nur ein Mittel zur Selbstdarstellung. Paulus sei doch ehrlich: Du willst am Ende Ehre und Geld und Ruhm.

Nein, sagt Paulus, es geht alles darum, dass Jesus zum Zug kommt, und das schreibt er den Korinthern ins Stammbuch. Er schreibt, das Evangelium taugt nicht dazu, um reich zu werden. Das Evangelium darf nicht verhökert werden, um die eigene Tasche zu füllen oder um das eigene Ehrgefühl zu salben.

Das ist jetzt der Hintergrund unserer Verse, die Paulus den Korinthern und uns schreibt aus 2. Korinther 4, 1–5 :

 

1Deshalb lassen wir uns in diesem Dienst, den wir durch die Barmherzigkeit Gottes empfangen haben, nicht entmutigen.

2Wir haben uns von allen beschämenden Heimlichkeiten losgesagt. Wir arbeiten weder mit Tricks noch verfälschen wir das Wort Gottes, sondern lehren die Wahrheit ganz offen. Dadurch empfehlen wir uns vor den Augen Gottes dem Gewissensurteil aller Menschen.

3Wenn unsere gute Botschaft dennoch verhüllt erscheint, so ist das nur bei denen der Fall, die ins Verderben gehen,

4bei den Ungläubigen, bei denen der Gott dieser Welt das Denken verdunkelt hat, damit sie das helle Licht des Evangeliums nicht sehen: die Botschaft von der Herrlichkeit des Christus, der Gottes Ebenbild ist.

5Denn wir predigen nicht uns selbst, sondern Jesus Christus als den Herrn. Und weil wir zu ihm gehören, betrachten wir uns als eure Sklaven.

 

Ich habe 3 Punkte gemacht:

 

1. Wir predigen, was geschrieben steht, nicht was ankommt

In Korinth ist etwas sehr Modernes, etwas scheinbar sehr Intelligentes geschehen. Die Korinther sagten: Der Jesus, den Paulus uns verkündet hat, ist schon in Ordnung. Aber ein bisschen angestaubt und ein bisschen sperrig. Wir peppen Jesus auf. Wir sorgen dafür, dass er attraktiver rüber kommt!

Dahinter steckt eigentlich eine sehr gute Absicht, denn die Korinther haben gefragt: „Wie können wir das Evangelium heute noch verständlich machen?“

In dieser Frage steckt schon der erste Keim der Irrlehre drin. Weil in dieser Frage die Frage mitschwingt: „Könnten wir Jesus nicht den Wünschen unserer Zeit anpassen? Könnten wir Jesus nicht kompatibel machen mit dem Zeitgeist?“

20 Jahre nach Ostern haben die Korinther diese Frage gestellt und diese Frage ist bis heute nicht verstummt. Alle Irrlehrer, alle falsche Theologie beginnt mit einer guten Frage und damit, dass Christen darunter leiden, dass ihre Zeitgenossen so wenig mit Jesus anfangen können, dass Christen darunter leiden, dass die Kirche so unattraktiv ist, dass die Gemeinde so klein ist, dass sich im Grunde niemand für Jesus interessiert.

Jetzt tun die Korinther einen entscheidenden aber falschen Schritt: Jetzt schleifen sie Jesus ein bisschen die Kanten ab, jetzt hauen sie ein paar Ecken weg, jetzt machen sie Jesus stromlinienförmig:

 

- Der Jesus, an den sie glaubten und der Jesus, den sie verkündigten, der äußerte sich in großartigen Gnadengaben, in ekstatischen Geistwirkungen, die Eindruck schafften.

 

- Jesus war plötzlich einer, der auf der großen Bühne der Philosophen mithalten konnte.

 

- Der Jesus, an den die Korinther glaubten und den sie verkündigten, der äußerte sich nicht mehr in einer verborgenen Kraft. Nicht mehr in der Kraft der Schwachheit. Der Jesus, an den die Korinther glaubten, der äußerte sich in einer sehr sichtbaren und sehr spürbaren Kraft, die man sehen konnte, die etwas hermachen konnte, mit der man sich auch selber darstellen konnte.

 

- Der Jesus, an den die Korinther glaubten und den sie verkündeten, der trug nicht mehr die Nagelmale des Kreuzes in seinen Händen und Füßen, sondern der war strahlend, war attraktiv, stylisch, den konnte man verkündigen, den konnte man anbieten, den konnte man verkaufen.

 

Und jetzt schreibt Paulus genau an diese Gemeinde in Korinth, die einen Super-Jesus kreiert hat, in seinem zweiten Korintherbrief:


„WIR GEHEN NICHT MIT LIST UM, FÄLSCHEN AUCH NICHT GOTTES WORT, SONDERN DURCH OFFENBARUNG DER WAHRHEIT EMPFEHLEN WIR UNS.“

Konkret: Wir predigen nicht den Super- sondern den gekreuzigten Christus.
Es wäre auch heute missionarisch viel leichter, mit dem Christus der Korinther eine Evangelisation zu machen. Wir stehen bis heute immer wieder in der Versuchung, unseren Mitmenschen Jesus verständlich zu machen. Weil tief in uns drin die Angst wohnt, dass die Sache mit dem Kreuz von Golgatha eigentlich niemanden mehr interessiert, dass das niemand will, dass das niemand braucht. Deshalb versuchen wir, Jesus aufzupeppen.

Ich finde das immer sehr verräterisch in machen Zeugnissen, wenn es heißt: Jesus ist voll toll, ist genial. Der, an den ich glaube, ist das nicht. Machen wir Jesus niemals zu etwas, was er nicht ist. Nur damit wir uns besser damit fühlen oder damit unsere Freunde leichter einen Zugang dazu gewinnen. Jesus ist immer sperrig. Und das Evangelium ist immer sperrig. Denn es ist die Botschaft vom Kreuz.

 

Das Kreuz: Den Griechen eine Torheit und den Juden ein Ärgernis.
Es steht oft die Frage im Raum, wie können wir es so hinbiegen, dass das Kreuz wieder intelligent wirkt.

Einer hat mal gesagt: Als moderne Menschen können wir den Kreuzestod heute nicht mehr verstehen. Bitte bilden wir uns nicht ein, dass die Korinther es damals hätten verstehen können. Das Kreuz war damals genauso unverständlich wie es heute ist. Das Kreuz ärgerte auch vor 2000 Jahren die Menschen schon, und es wird auch in 2000 Jahren, wenn Jesus bis dahin nicht wiedergekommen ist, die Menschen immer noch ärgern. Wir können, wir sollten viel erklären über das Evangelium. Aber bilden wir uns nicht ein, dass wir das Evangelium verständlich machen können. Das Evangelium ist nicht eine Logik, sondern eine Kraft.

Für Paulus war das Kreuz auch nicht nur irgendein Symbol, das man zur Not auch auswechseln kann. Das Kreuz war für Paulus der Prüfstein für die Wahrheit des Evangeliums. Am Kreuz entscheidet sich das Evangelium. Wenn das Kreuz fehlt, fehlt das Evangelium.

 

2. Wir werben für Jesus durch die Verkündigung der Wahrheit, nicht durch die Manipulation der Emotion

Paulus schreibt: „DURCH OFFENBARUNG DER WAHRHEIT EMPFEHLEN WIR UNS DEM GEWISSEN ALLER MENSCHEN VOR GOTT.“

Es ist erstaunlich leicht, Menschen zu manipulieren. Es ist immer wieder erstaunlich, wie schnell z.B. Meinungsumfragen vor Wahlen hin- und herwechseln. Wie da Stimmungen geschaffen werden können. Wie sich plötzlich alle Frauenfußball im Fernsehen ansehen (ich auch, und das waren gute Spiele!).

Wir Menschen sind unglaublich manipulierbare Wesen. Übrigens auch Christen. Es ist für mich immer wieder erstaunlich: Der bissigste Pietist kriegt ja bei der liberalsten Pfarrerin weiche Knie, wenn sie ihn schön verabschiedet nach dem Gottesdienst. Die Predigt Kraut und Rüben, aber ein netter Gruß, ein nettes Lächeln am Ausgang, und alle sind selig.

Man kann das auch in der Verkündigung tun. Das Evangelium so verkündigen, dass es ans Nervensystem appelliert. Psychischen Druck ausüben, eine begeisternde Stimmung erzeugen und dann Menschen dazu führen, dass sie ein „Ja“ zu Jesus sagen. Aber sie tun das nicht auf der Basis einer Entscheidung ihres Gewissens, sondern nur, weil ihr Nervensystem manipuliert wurde.

Vorsicht! Wir zielen mit der Verkündigung des Wortes Gottes niemals auf das Nervensystem des Menschen, auf die emotionale Haut des Menschen, sondern auf das Gewissen. Dort soll der Mensch vom Wort Gottes getroffen werden.
Das Evangelium darf niemals von Stimmungen abhängig werden. Denn in der Begegnung mit Jesus Christus geht es immer um eine personale Entscheidung des Einzelnen. Diese Entscheidung können wir niemandem abnehmen. Und diese Entscheidung darf ich auch nicht umgehen.

Sie kennen das vielleicht aus der Jugendarbeit, aus der Jungschar, aus dem Jugendkreis. Man möchte es so gerne, dass ein junger Mensch an den Glauben zu Jesus findet. Manchmal möchte man ihn hineintragen. Das darf ich nicht. Ich muss junge Menschen vor diese Entscheidung des Evangeliums stellen, die ich niemandem abnehmen kann, die Jesus niemandem abnimmt. Ich kann ihm helfen, über diese Entscheidung klarzukommen, diese Entscheidung klar zu sehen, um was es geht. Aber diese Frage, die nimmt Jesus niemandem ab.

Darum geht es bei der Verkündigung des Evangeliums, dass sich Menschen einer personalen Entscheidung stellen, alles sagen, was wichtig ist. Versuchen, es so klar und deutlich zu machen, wie es nur geht. Seelsorgerlich bis an die letzte Grenze zu gehen, aber niemand über diese Grenze schubsen. Niemand über diese Grenze tragen, indem wir sie oder ihn manipulieren. Das ist der Unterschied zu Sekten. Sekten tun das nicht. Sekten arbeiten immer mit Manipulation. Ich will und ich darf das nicht tun!


3. Wir suchen die Ehre Jesu, nicht die eigene Selbstdarstellung

Paulus schreibt: „WIR PREDIGEN NICHT UNS SELBST, SONDERN JESUS CHRISTUS, DASS ER DER HERR IST.“

Jesus, der Herr, will durch uns zu Wort kommen. Das Problem ist, dass wir – bewusst oder auch unbewusst – gerne auch selbst zu Wort kommen. Keiner, der vor dem Mikrophon steht, möchte sich blamieren.

Und da kommt jetzt ein Interessengegensatz zusammen. Jesus möchte durch mich zu Wort kommen. Es ist immer wieder meine Angst, aber auch unterbewusst mein Wunsch, mein unerlaubter Wunsch, dass ich – während ich Jesus verkündige – selber auch gut rauskomme. Das ist ein Grundproblem unserer Arbeit, ein Grundproblem unserer Mitarbeiterschaft in der Gemeinde. Wir sind immer versucht, unsere eigenen Botschaften mit unterzubringen. In meine Verkündigung des Evangeliums rutscht manchmal auch die Privatverkündigung mit rein: Die eigene Persönlichkeit, unserer Sehnsüchte und unsere Wünsche, das was wir schön und toll finden.

Es geht nicht darum, dass wir ankommen, sondern dass Gott, dass Jesus zu Wort kommt! Unsere Unterhaltungskultur, in der wir leben, die Medienkultur, in der wir mitten drin stehen, die produziert ja immer wieder Helden, Showstars, Sportler, Künstler.

Auch unsere kirchliche Kultur produziert ihre Stars: Der Papst auf dem Weltjugendtag, jung-dynamische Prediger in Jugendgottesdiensten, die die Kirchen mit jungen Menschen füllen. Wir haben eine Kultur geschaffen mit Jugendgottesdiensten und Zweitgottesdiensten, Nachtgottesdiensten, Lobpreisgottesdiensten usw. Ganz toll, wie viel Kreativität da oft eingebracht wird, wie viel Ideen und Professionalität da eingebracht wird, wie viele Ideen da eingebracht werden. Aber manchmal habe ich auch das Gefühl, dass sich hier mehr Menschen verkündigen als dass Jesus verkündigt wird, dass es mehr um den Auftritt von Menschen geht als um das Zum-Zuge-Kommen von Jesus.

Man spürt das oft in den Gebetsgemeinschaften. Wenn in Gebetsgemeinschaften vor allem darum gebeten wird, dass der Auftritt gut klappt, Jesus soll auch die Ehre bekommen aber es soll nichts schief gehen..... Man kreist immer wieder um sich selber. Und da ist die Gefahr riesengroß, dass wir dann doch selber unsere eigene Persönlichkeit verkündigen und nicht Jesus.

Bei Gott aber kann ich immer nur als Knecht Karriere machen, nie als Herr.
„WIR SIND EURE KNECHTE UM JESU WILLEN“ schreibt Paulus.
Darum geht es. Ganz egal, welches Amt wir übernehmen. Bleibe immer ein Knecht Jesu! Ein Diener. Wer nicht dienen will, der kann im Grunde kein Werkzeug Jesu sein. Dienen fängt da an, wo die Komplimente und der Beifall ausbleiben. Dienen fängt da an, wo Opfer gebracht werden.

 

Sie haben vielleicht die Geschichte schon einmal gehört, in der es um diese Frage geht, die man Leonard Bernstein gestellt hat. Bernstein, wohl einer der größten Dirigenten des zwanzigsten Jahrhunderts, Dirigent der New Yorker Philharmoniker. Ein Journalist stellte ihm einmal die Frage: „Maestro, welches ist eigentlich das schwierigste Instrument in einem Orchester?“ Leonard Bernstein konnte alle Instrumente selber spielen, die im Orchester gebraucht werden. Er überlegt dann eine Weile und sagte: „Die zweite Geige. Ich kann viele Musiker finden, die mit Leidenschaft die erste Geige spielen. Aber jemanden zu finden, der mit der gleichen Leidenschaft die zweite Geige spielt, das ist schon sehr schwierig. Aber wenn man keine zweite Geige hat, dann gibt es keine Harmonie.“

Das Dienen fängt mit der zweiten Geige an. Nicht der erste Geiger steht nach dem Ende des Konzerts immer auf und gibt dem Dirigenten die Hand. Es ist der zweite Geiger – im Dienst des großen Ganzen. (Andreas Strohm)