Jahresthema Gottesdienst: Unser Glaube

Glaube, der das Leben prägt

Heute fragen wir nach der Bedeutung des Glaubens, nach seinem Stellenwert im Leben heute - auch unter uns. Inwieweit prägt uns eigentlich unser Glaube, haben wir nur einen oder leben wir ihn auch? Spannende Fragen, finden Sie nicht? Ich könnte noch weiter fragen:

Was muss man eigentlich alles glauben, um wirklich gläubig zu sein? Wie gläubig kann oder sollte man überhaupt sein? Gibt es da gar Steigerungsformen: Gläubig, rechtgläubig, bibelgläubig, sehr gläubig oder gar “glinus” - gläubig in unserem Sinne?

Auf jeden Fall aber ist ein deutliches Verdunsten des Glaubens und des Christlichen in unserem Volk wahrzunehmen. Doch so richtig selbstverständlich war es eigentlich nie, was denn Glaube wirklich ist. Jeder hat so seinen Glauben, sagen die einen. “Ich weiß, woran ich glaube”, sagt ein anderer im Brustton der Überzeugung. Nur weiß einer, der weiß, woran er glaubt, auch schon was Glaube wirklich ist? "Glaube - das ist Fußball." Großformatig warb damit der VfL Wolfsburg auf Plakatwänden für die schönste Nebensache der Welt.

Glaube - das ist Fußball. Das ist allerdings zugegebenermaßen für mich eine völlig neue Variante auf der Palette von Glaubensdefinitionen. Klar glaubten die Spieler an ihr Können. Aber half ihnen das? Wer hätte das geglaubt, dass es ganz gut auch ohne alte verdiente Symbolfiguren des bewährten Trainers und Torwarts gehen könnte. Und es geht doch. Tja, Fußball - das ist so eine Glaubenssache. Glaube - für sehr viele ist das eine Privatsache.

Doch für die allermeisten ist Glaube eher eine Nebensache.

Jesus hat es wohl damals schon geahnt, wie missverständlich die Sache mit dem Glauben sein kann. Darum hat er dazu nicht nur Worte gesagt und Erklärungen abgegeben. Jesus hat immer wieder auch Bilder gemalt, lebendige Bilder zur Veranschaulichung, was Glaube ist. Damit wirs besser fassen. So ist die Geschichte vom Weinstock hier zu verstehen.

Jesus sagt: Glaube - das ist Lebenssache. Leben aus der Quelle. Der Glaube, den er bringt, ist ein total neuer Lebensstil, eine völlig neu konzipierte Lebensweise. Es ist ein ganz anderes Leben. Mit diesem Glauben ist einer “ein neuer Mensch. Was vorher war, ist vergangen, etwas Neues hat begonnen” (2.Kor 5,17 ). Jesus spricht von einem Glauben, den man nicht hat, sondern den man lebt. Und nur gelebt ist er wirklich Glaube. Alles andre wäre Schein und Selbstbetrug, wie eine Nuss ohne Kern, wie eine Fata Morgana.

Auch den Frommen will Jesus helfen, mit all unsrem angereicherten Bibel-Wissen und geistlichen Einsichten ins praktische Leben zu finden: “Wenn ihr dies wisst, selig seid ihr, wenn ihrs tut” (Joh 13,17); oder wie Paulus es sagt: “Was wir schon erreicht haben, darin lasst uns auch leben” (Phil 3,16).

Glaube, der das Leben prägt. Darum geht es Jesus. Darauf kommt’s an! Solchen Glauben hat er uns ermöglicht. Solcher Glaube ist Leben aus der Quelle, Leben mit der Qualität der Ewigkeit. Alles andre lohnt eigentlich nicht. Ich denke an das alte Wort Jauchzen. Was ist das eigentlich? Es ist ein Ausbruch unserer Freude, mit der wir nicht mehr an uns halten können. In Fußballstadien kann man das erleben, wenn plötzlich das ersehnte Tor fällt. Ein jubelnder Aufschrei geht durch die Menge. Da braucht es keinen, der dazu auffordert. Das bricht spontan aus einem heraus. So will uns jeder Sonntag zum Staunen, zur Freude, ja zum Jubel über Gott und seine wunderbaren Taten anstiften. Vielleicht flammt in uns ja die Freude neu darüber auf, wie großartig die Lebensmöglichkeit ist, die Gott uns durch Jesus Christus eröffnet hat. Dahinter können sich all die Life-style-Angebote unserer Tage verstecken.

Nicht ohne Grund greift Jesus wohl das Bild vom Weinstock auf. Weinanbau kannte jeder in Israel. Zum anderen wird hier die Verbindung von Verwurzelung und Fruchtbringen, von Pflege und Gedeihen anschaulich. Nicht zuletzt gilt der Wein als Symbol für das Erleben von Freude. Wein erfreut des Menschen Herz, heißt es in der Bibel. Kein großes Fest, kein gastlicher Tisch ohne Wein. Jesus vergleicht ein Leben im Glauben eben nicht mit Rhabarberstauden oder Sauerampfer, sondern mit dem lieblichen Wein. Komisch, dass immer noch so viele Christen so sauer drein schauen. Zutiefst spricht Jesus mit dem Bild ein Geheimnis an, was Leben letztlich ausmacht. Vom Fruchtbringen ist etliche Male die Rede. Es muss etwas aus dem Leben herauskommen. Spätestens in der Mitte des Lebens fragen wir uns das. Was hat es wirklich gebracht, und war Arbeit, Geldverdienen, Urlaubmachen, Kinder großziehen und Karriere alles? Was bleibt? Was darf ich für andere bedeuten, andern sein? Wir werden zunehmend skeptisch gegenüber dem Trend unserer Tage, ein glückliches Leben sei das Aneinanderreihen von schönen Erlebnissen wie Perlen an einer Kette. Was gibt unsrem Leben Nachhaltigkeit, Bedeutung für andere Menschen, Werte über das Eigene hinaus - eben Frucht, die bleibt? Jesus weiß, dass wir nicht nur für uns und fürs Heute leben können. Wir sind auf Ewigkeit programmiert, sind auf Gott hin geschaffen und werden todunglücklich, wenn wir zu kurz greifen und so dann auch auf ewig zu kurz kommen. Und Jesus weiß: Ohne seinen Schöpfer ist das Geschöpf bald erschöpft! Wir leben aus der Verwurzelung mit dem, der uns gewollt, geliebt und geschaffen hat. Wir leben und überleben nur bei ihm - sonst gehen wir vor die Hunde - trotz allem, was wir für uns ansammeln, uns leisten und an Beliebtheit oder Anerkennung bei andern gewinnen konnten.

“Du Narr, wes wird’s sein, das du bereitet hast?” (Luk 12,21)

Im Bild vom Weinstock und dem Weingärtner mit seinem Sachverstand und seiner Mühe um gutes Gedeihen für einen Jahrhundertwein, bringt Jesus auf den Punkt, was Leben ausmacht und was er für unser Leben bedeutet. Darum wollen wir uns einige Momente Zeit nehmen, uns etwas näher mit dem Weinanbau zu beschäftigen wie wir ihn ja auch an der Mosel, aus Franken, aus Sachsen oder in der Pfalz kennen. Die Weinrebe ist eine edle, anspruchsvolle Kulturpflanze. Sie bedarf einer fast ganzjährigen Pflege und Arbeit. Noch im Winter werden die Reben - das sind die Zweige des Weinstocks - geschnitten. Nur ein oder zwei davon werden stehen gelassen. Das abgeschnittene Rebholz wird aufgesammelt und verbrannt. In einem nächsten Arbeitsschritt werden die stehen gelassenen Rebzweige geneigt, d.h. bogenförmig an einem Holzstock oder an Drähten festgebunden. Damit der Weinstock optimal mit Wasser versorgt wird und wichtige Nährstoffe nicht vom Unkraut aufgebraucht werden, muss der Boden gelockert werden - früher mit der Hacke. Nun müssen auch Schädlinge (Reblaus, rote Spinne...) bekämpft werden, die den Weinberg verderben. Im Sommer dann wachsen nicht nur die edlen Triebe, es wachsen auch wilde Triebe. Sie wachsen schneller als die anderen. Sie rauben jenen viel Energie und Sonnenlicht. Noch schlimmer aber: Sie tragen im Spätsommer auch Früchte. Das sind aber ganz saure Trauben. Deswegen müssen diese wilden Zweige entfernt werden. Am Ende des Sommers müssen auch die guten Rebzweige gekürzt werden, damit die Trauben das nötige Sonnenlicht bekommen. Ende September beginnt dann die Weinlese. Innerhalb der nächsten Wochen werden die meisten Trauben geerntet. Eine Ausnahme bilden nur die Reben, die für eine Trockenbeerenauslese oder für Eiswein bestimmt sind. Die Qualität dieser besonderen Weine erfordert, dass die Reben vor der Lese einem Frost ausgesetzt sind. Ich selbst habe auch einen Weinstock in meinem Garten. Aber leider - das muss ich eingestehen - bin ich überhaupt kein guter Gärtner. Bei mir geht’s nach dem Doppel-Motto: “Hauptsache grün." - Und: "Wachsen und wachsen lassen”. So hat mein Weinstock dem Knöterich am Car-Port schon mächtig Konkurrenz gemacht. So toll ist er gewachsen - besser: ins Kraut geschossen.

Nur mit der Ernte war’s bisher nichts. Ein Kummer-Träubchen hing letztes Jahr dran. Die vier oder fünf Beeren fielen von selbst ab oder dienten einem Vogel als saure Speise. Das war’s denn mit meinem Wein....

Sehen Sie, das ist mir zum Bild für mein eigenes Leben geworden. Wenn Gott da nicht Hand anlegt, ich nicht in seiner liebevollen und fachkundigen Pflege bleibe, kann nichts aus mir werden, wächst keine Frucht. Da schieße ich ins Kraut und nehme Andern nur den Lebensraum, statt zur Freude und zum Segen für sie zu werden. Ich möchte einmal nicht mit der bitteren Erkenntnis auf mein Leben zurückblicken müssen: Viele Blätter, viele Triebe, aber keine Frucht. Ich denke mal, Gott wird gewiss nicht nach meinem Motto urteilen: Hauptsache grün – Wachsen und wachsen lassen. Er wird mich fragen: Wo sind deine Früchte, was hast Du mit deinem Leben gemacht? Was ist daraus für die Ewigkeit erwachsen?

Darum bin ich heilfroh, dass ich Jesus kenne. Darum jauchze ich Gott zu, der mir durch sein Wort die Augen geöffnet hat für den ganz neuen Lebensraum im Glauben an Jesus Christus. Er ist es, der mir durch sein Sterben am Kreuz alle Schuld vergeben, die Distanz zu mir aufgehoben und Gemeinschaft mit Gott, dem Vater, geschenkt hat. Er ist der rechte Weingärtner. Er entspricht ganz und gar dem, was ich wirklich nötig habe. Bei ihm bin ich in den besten Händen. Gerade auch weil er diese Hände nicht in den Schoß legt, sondern damit an mir arbeitet, mich auch beschneidet, mir vielleicht sogar manches wegnimmt.

Einer sagte einmal: “Reich ist, wer viel hat. Reicher ist, wer nicht viel braucht. Am reichsten ist, wer viel geben kann.” Dahin will Gott uns wachsen lassen. Es sind seine fachkundigen und liebevollen Hände, die uns umsorgen, aber auch anbinden, zurückschneiden und reinigen müssen. Es ist die optimale Pflege. So können wir wachsen und reifen. So kann Frucht gedeihen. Wo Reinigung fehlt, leidet das Reifwerden.

Ich müsste mir dafür nur den Dienst Gottes gefallen lassen, mich seiner Pflege und Führung überlassen, mich an Jesus halten, ihm tief verbunden bleiben.

Er der Weinstock - wir die Reben. “Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht.” Die schafft er. Das ist also Glaube, der das Leben prägt. Ohne ihn wird nichts draus. Ohne ihn können wir nichts tun, was Früchte treibt und Ewigkeitswerte hinterlässt. Ohne ihn nicht.

Was ist dafür aber von unsrer Seite nötig? Was können wir dafür tun, dass Gott unser Leben fruchtbar machen, andern zum Segen setzen und es zu seiner Ehre gelingen lassen kann?

Siebenmal spricht Jesus in diesem Abschnitt davon, was wir tun können, was wir sollen:

“Bleiben”. Das ist es! Bei ihm bleiben. Unter seinem Wort - denn immer ist er da, wo’s um ihn geht, wo Menschen in seinem Namen zusammen sind, ihn anrufen, sich seiner Botschaft stellen - da ist er mitten unter ihnen.

Das Wort “Bleiben”, das Jesus hier gebraucht, hat eine dreifache Bedeutung:

a) Eine Bleibe haben, Heimat haben, wohnen, zu Hause sein, geborgen sein. Damit wird mehr die staunenswerte Wirklichkeit beschrieben, die uns im Glauben an Jesus geschenkt ist, b) Standhalten, sich nicht beirren lassen - durch schmerzhafte Erfahrungen beispielsweise. Da kommt stärker die Anforderung des Glaubens zum Ausdruck. Das Durchhalten in schweren Stunden, das Ausharren in Leidenszeiten, das Festhalten an der Verheißung – auch wenn es einmal nichts zu sehen und zu fühlen gibt von Gottes Macht und Liebe.

c) Bestehen bleiben, übrig bleiben, am Leben bleiben - im Sinne von: überleben, ewig leben. Da kommt auch etwas von der Kraftwirkung zum Tragen, die von Jesus Christus ausgeht, die der Glaube bei denen bewirkt, die sich vertrauensvoll auf seinen Weg einlassen.

Das eigentlich Prägende unseres Glaubens ist somit die umgestaltende Kraft des Auferstandenen. Sie ist das Geheimnis christlicher Lebensgestaltung, das Geheimnis eines gesegneten Lebens. Ein ganz starkes Versprechen gibt uns Jesus mit auf den Weg:

“Wenn ihr fest mit mir verbunden bleibt und euch nach meinem Wort richtet, dürft ihr von Gott erbitten, was ihr wollt; ihr werdet es erhalten.”

Mich lässt seit langem eine tiefe Sehnsucht nicht mehr los: “Herr, gib meinem Leben mehr Gewicht der Ewigkeit, lass mich reif werden, lass mich anderen ein Segen sein. Bewahre mich gerade im Alter vor Selbstmitleid und davor, für meine Umgebung belanglos oder gar belastend zu sein.” Ich bin überzeugt, dass Gott mein Gebet erhören und meine Tage füllen wird, dass sie Frucht bringen.

Anders als bei vielen Gewächsen reifen an einer Rebe nicht einzelne Früchte, sondern Trauben. Trauben, die aus vielen einzelnen Beeren bestehen. Für mich ist dies ein wichtiger Denkanstoß. Trauben entfalten ihre ganze Schönheit erst in der Fülle der Beeren. Die einzelne Beere ist wenig attraktiv. Die große Traube erst verlockt.

Erst in der Gemeinschaft der einzelnen Christen liegt ihre eigentliche Ausstrahlungskraft. Das Bild vom Weinstock und den Reben ist ein starkes Plädoyer für die christliche Gemeinde. In den Abschiedsreden Jesu blitzt dieser Gedanke immer wieder auf, bis er in seinem Gebet für die Einheit der Seinen offen ausgesprochen wird. Die Traube ist deshalb auch ein starkes Bild für ökumenisches Miteinander: “Eins lass uns sein wie Beeren einer Traube, dass die Welt glaube”, heißt es in einem der neueren Kirchenlieder.

Ein Zeitgenosse betet: “Wachse, Jesus, in mir, in meinem Geist, meinem Herzen, meiner Vorstellung, meinen Sinnen. Wachse in mir in deiner Güte, deiner Leidenschaft, deiner Liebe. Wachse in deiner Gnade, deinem Licht, deinem Frieden. Wachse wie zu Nazareth, vor Gott und Menschen zur Verherrlichung deines Vaters, zur größeren Ehre Gottes!” (Pierre Olivaint)

Wachse, Jesus in mir... Ist Ihnen das auch wichtig? Auch schon jetzt für die kommenden Wochen? Das Bleiben in der Verbindung mit Jesus ist die Garantie für ein spannendes, nicht immer leichtes, aber auf jeden Fall fruchtbares Leben. Das ist es, was wir wirklich brauchen. Das ist es, was durch Jesus möglich ist. Das ist es, was Gott an uns sucht: Glaube, der das Leben prägt. Amen.      

(Rainer Keupp, Wolfsburg)